Offener Brief: Die Wahrheit ist dem ORF zumutbar

Dieser Brief ging heute in der Früh an die Medien:

Die Wahrheit ist dem ORF zumutbar

Dieser Tage wird ein neues ORF Programm präsentiert. Neue Serien, neue Formate, neue Moderatoren. Währenddessen, während all der Promo-Termine und gebührenden Feiern ist einem wesentlichen Teil der ORF-MitarbeiterInnen nicht zum Feiern zumute. Sie arbeiten täglich für das Unternehmen. Auch an Wochenenden und Feiertagen. Ohne Zuschlag versteht sich. Sie produzieren zu 100 Prozent öffentlich-rechtliches Programm und das mit viel Idealismus und Energie. Und leben deswegen an der Grenze zum Existenzminimum. Qualitätsjournalismus kostet eben. In ihrem Fall ein abgesichertes Leben.

Diese Freien MitarbeiterInnen stellen sich zu Recht die Frage: wie kann man neues Programm präsentieren, wenn das vorhandene gar nicht durchfinanziert ist? Jenes Programm auf Ö1 und FM4, in der Fernseh-Kulturberichterstattung und den mehrsprachigen Sendungen, das in seiner Vielfalt und mehrfach ausgezeichneten Qualität den Bildungsauftrag rechtfertigt. Jene Sendungen, die jahrein jahraus neben der Information das Kernstück des Public Value Berichts bilden. In dem der ORF seinen Gebührenzahlerinnen und –zahlern beweist, dass ihr Geld gut angelegt ist. Dass er sich abhebt vom Boulevard-Diktat der Privaten und seinen Finanziers etwas bietet. Kunst und Kultur, Philosophie und Wissenschaft, Information und Hintergrundanalysen. Wissensvermittlung auf hohem Niveau und trotzdem unterhaltsam und für jedermann verständlich.

Die Macherinnen und Macher dieses Programms verdienen keine sprichwörtlichen ORF-Bonzen-Gehälter. Sie verfügen über keinerlei Privilegien – außer dass sie ihren Beruf lieben. Sie wissen oft nicht wie sie ihre Miete bezahlen sollen oder die Raten für ihre Sozialversicherung. Sie sind keine Studentinnen und Studenten, die sich als BerufseinsteigerInnen erst ihre Sporen verdienen müssen. Sie sind Mittdreißiger, Mittvierziger und Mittfünfziger. Sie können fantastische fachliche Qualifikationen vorweisen, die ihre hochqualitative journalistische Arbeit erst möglich machen. Und werden vom ORF dafür entlohnt wie PraktikantInnen.

Die Verantwortlichen dieses großen Medienunternehmens wissen darüber Bescheid. Nicht erst seit den öffentlichen Protesten im Frühjahr 2012. Sie kennen die Zahlen und das Budget in- und auswendig. Sie wissen um die schändliche Entlohnung und schicken die Freien MitarbeiterInnen von einem Verantwortlichen zum nächsten. Ergebnislos. Sie weisen ständig darauf hin, nicht zuständig zu sein. Denn die Freien MitarbeiterInnen haben keine Lobby. Sie sind Freie. Und damit Freiwild für neoliberalistische Finanzierungspläne, die auf ihrem Rücken ausgetragen werden.

Der ORF lässt sie im Stich. Seine RepräsentantInnen sprechen in Interviews über Arbeitskreise zum Thema Freie, von denen die Betroffenen nichts wissen. Und über Verhandlungen, in denen auf ihre Hauptforderung – die Erhöhung der Honorare – bis heute nicht eingegangen wurde. So schindet man Zeit ohne das Problem zu lösen. Die Freien MitarbeiterInnen arbeiten in der Zwischenzeit weiter. An jenen Programmen, die oftmals keine Werbeeinnahmen bringen, keine Publicity, sondern nur öffentlich-rechtlichen Mehrwert. Jener Wert ist es jedoch, der die Existenz eines gebührenfinanzierten ORF samt seiner DirektorInnen überhaupt erst rechtfertigt. Management bedeutet Verantwortung. Diese wird jedoch im Falle der Freien MitarbeiterInnen bis dato nicht übernommen. Stattdessen wird ein neues Programm präsentiert. Auf roten Teppichen, in eleganten Präsentationsräumlichkeiten, mit ansprechend dekoriertem Buffet. Während die Finanzierung des vorhandenen Programms noch immer nicht geregelt ist.

Das ist die Wahrheit in diesen Tagen. Und sie ist unangenehm. Sie zeigt das soziale Ungleichgewicht innerhalb des ORF. Sie beschädigt die gerade jetzt frisch herausgeputzte Fassade eines erfolgreichen öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sie stört die Verantwortlichen aus Imagegründen und die Betroffenen aus Überlebensgründen. Doch solange diese Wahrheit nicht durch Taten nachhaltig widerlegt wird, ist sie dem ORF zumutbar.

Dieser Kommentar wurde im Namen folgender ORF-MitarbeiterInnen veröffentlicht:

Martin Adel (Ö1), Sabrina Adlbrecht (Ö1), Gabriele Anderl (Ö1), Tiziana Arricó (ORF Kultur/ TV), Teresa Arrieta (Ö1), Alexandra Augustin (FM4), Susanne Ayoub (Ö1), Sarah Barci (Ö1), Sonja Bettel (Ö1), Lothar Bodingbauer (Ö1), Judith Brandner (Ö1), Gudrun Braunsperger (Ö1), Eva Brunner (FM4), Christian Brüser (Ö1), Renate Burtscher (Ö1), Maria Anna Dessewffy (Ö1), Nicole Dietrich (Ö1), Ulla Ebner (Ö1), Margarete Engelhardt-Krajanek (Ö1), Isabelle Engels (Ö1), Andreas Felber (Ö1), Sebastian Fleischer (Ö1), Martina Frühwirth (Ö1), Julia Gindl (Ö1), Constanze Griessler (ORF Kultur/ TV), Hans Groiss (Ö1), Matthias Haydn (Ö1), Alexander Hertel (FM4), Judith Hoffmann (Ö1), Christina Höfferer (Ö1), Günther Kaindlstorfer (Ö1), Monika Kalcsics (Ö1), Barbara Kaufmann (Ö1), Verena Kalenda (ORF TV), Nora Kirchschlager (Ö1), Natasa Konopitzky (Ö1), Barbara Köppel (FM4), Michael Köppel (Ö1), Sarah Kriesche (Ö1), Thomas Kugler (Landesstudio Tirol), Claudia Kuschinski-Wallach (Ö1), Conny Lee (FM4), Christian Lerch (Ö1), Paul Lohberger (Ö1), Tanja Malle (Ö1), Anna Masoner (Ö1/FM4), Ute von Maurnböck-Mosser (Ö1), Petra Meisel (Ö1), Franziska Meyer-Keber (ORF Kultur/ TV), Christa Nebenführ (Ö1), Michael Neuhauser (Ö1), Hans Georg Nicklaus (Ö1), Sabine Nikolay (Ö1), Sibylle Norden (Ö1), Marlene Nowotny (Ö1), Stefanie Panzenböck (Ö1), Julia Reuter (Ö1), Nadine Rosnitschek (ORF Kultur/ TV), Christine Scheucher (Ö1), Julia Schlager (Ö1), Nikolaus Scholz (Ö1), Astrid Schwarz (Ö1), Katharina Seidler (FM4), Bea Sommersguter (Ö1), Anna Soucek (Ö1), Irene Suchy (Ö1), Karoline Thaler (ORF Kultur/ TV), Ronny Tekal-Teutscher (Ö1), Teresa Vogl (Ö1), Brigitte Voykowitsch (Ö1), Désirée Walter (ORF Kultur/ TV), Sonja Watzka (Ö1), Simon Welebil (FM4), Andreas Zinggl (Ö1)

6 Kommentare

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6 Antworten zu “Offener Brief: Die Wahrheit ist dem ORF zumutbar

  1. Folgende KollegInnen haben auch noch unterzeichnet:

    Maria Harmer (Ö1), Winfried Schneider (Ö1), Claudia Gschweitl (Ö1), Xaver Forthuber (Ö1), Andreas Wolf (Ö1), Florian Petautschnig (Ö1), Martina Nußbaumer (Ö1), Eva Schobel (Ö1), Anna Katharina Laggner (Ö1/ FM4), Ursula Scheidle (Ö1), Franziska Dorau (Ö1), Stefanie Simpkins (ORF Kultur/ TV)

  2. Sophie Weilandt

    Sophie Weilandt (ORF Kultur/ TV)

  3. Susanne Obrietan

    Liebe ORF-Mitarbeiter, ich möchte Sie auf diesem Weg unterstützen, auch wenn es „nur“ moralisch ist. Sie alle leisten tolle Arbeit und für mich ist ein Tag ohne Ihre Sendungen nicht vorstellbar. Ich wünsche Ihnen alles Liebe und Gute und viel Erfolg und ich wünsche den Verantwortlichen die Vernunft, zu erkennen, welches Potential sie das sträflich behandeln. Ohne Ihre wertvolle Arbeit würde der ORF ganz schnell zerbröseln! Alles, alles Gute! Susanne Obrietan

  4. Franz Strohmeier

    Die ORF-Freien als Bergbauern des Österreichischen Rundfunks

    Wer kennt nicht die Fotos von Bergbauern, die sich noch, mit der Sense auf einem steilen Berghang stehend, im Schweiße ihres Angesichts die Erde untertan machen – und das für einen Monatslohn, der, selbst wenn er täglich ausbezahlt würde, die meisten – jetzt nicht mehr ganz so angesehenen – „Leistungsträgern“ Österreich nicht einmal zu einem zusätzlichen Toilettengang motivierern würde.

    Diese Bäuerinnen und Bauern mit ihrer wertvollen und unersetzlichen und wichtigen Arbeit werden immer dann als leuchtendes Beispiel herangezogen, wenn es gilt, Aufwendungen für die Landwirtschaft, Förderungen, und, ja auch, Steuer- und sonstige Privilegien zu rechtfertigen und zu verteidigen.

    Nur blöd, dass die role models davon dann meist am Wenigstens sehen und es sich hinter ihrem Rücken die andere und vor allem auch Funktionäre und weiße Elefanten gemütlich machen können.

    An die Situation fühle ich mich, selbst Kind von Nebenerwerbslandwirten, erinnert, wenn ich die Diskussion um die gerechte und würdige Bezahlung der freien Mitarbeiter im ORF, insbesondere der Sender Ö1 und FM4, verfolge.

    Da wird die Notwendigkeit des öffentlich rechtlichen Rundfunks (zu Recht!) heraufbeschworen, Sendungen, die Selbstentblösern große Chancen oder ewigpupertären längst ausgerauchten Gewürzen eine Plattform bieten und deren zwangsweise Finanzierung über Gebühren mit Ö1 und FM4 begründet und gerechtfertigt.

    Und dann erfährt man, dass diese Sendungen unter zumindest finanziell prekären Bedingungen entstanden sind. Es gibt OTS-Aussendungen, wenn wieder mal ein Radiokolleg, ein Im Gespräch etc. ausgezeichnet worden ist – von einem für die diese Inhalte erstellenden Menschen zufriedenstellenden Vertragsabschluss erfährt man auf diesem Wege nichts.

    Ganz im Gegenteil: Harmlose Protestmaßnahmen der Betroffenen, von denen ich, obwohl sie mir persönlich unbekannt sind, kaum ein übertriebenes Revoluzzertum annehme, werden finanzdirektorlich gescholten und von den Ein-Mann/Frau-UnternehmerInnen die Solidarität und Pflichten von Dienstnehmern eingefordert – ein rechtlicher Status, dessen Erreichung für die meisten der ProtestiererInnen (oder besser: AufzeigerInnen) in weiter Ferne liegt (und vielleicht, die journalistische Freiheit gewohnt, auch nicht angestrebt wird) – nur ein gerechtes Stück vom Kuchen ist, siehe oben, wohl nicht zu viel verlangt.

    Ich möchte als Konsument, dass diejenigen, die von mir konsumierte Produkte erzeugen, fair und gerecht bezahlt werden – sonst bleibt der schale Nachgeschmack eines Fair-Bezahlt-Pickerls, das zwar schön aussieht, von dem man aber erfahren muss, dass es reine Behübschung ist und die Extra-Euro sicher nicht den Sweat-Shop-Arbeitern zu Gute kommen.

    Ein letztes Argument und Beispiel noch (angelehnt an die Rede von Hugh Grant als Prime Minister in „Love Actually“): Hey, es sind kleine Sender. Aber sie haben großartige Leute hervorgebracht. Wo in der Welt gibt es z.B. sonst noch einen Moderator eines Alternativsenders, der es bis ins Direktorium einer Institution wie dem ESM gebracht hat und noch immer selbst auf der Sender-Homepage postet?

    Also: Gebt den Leuten die Position und Bezahlung, die ihrer Leistung, Ihrer Aus-Bildung und dem Ansehen, das sie dem ORF und Österreich bringen, entspricht. Sollte deshalb (zweckgebunden!) die ORF-Gebühr um den einen oder anderen Euro steigen müssen:

    Wir Zuhörer werden raunzen (das sind wir uns schuldig), aber zahlen.

  5. Brigitte Lunzer Rieder

    Hm…warum soll es Euch anders gegen als unsereins?
    !
    Bri Lu – Ri

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